Hast du schon einmal über deine Präsenz im Online-Training nachgedacht?
Im Seminarraum kannst du dich bewegen und deine Körpersprache gezielt einsetzen. In einem Webinar oder Live-Online-Training fallen diese Möglichkeiten nahezu komplett weg und du musst deine Präsenz als Trainer auf anderem Wege herstellen. Deshalb ist es im virtuellen Seminarraum noch viel wichtiger als im physischen, dass du besonders viel Wert auf deine Sprache und deine Präsentationsmedien legst.
In diesem Blogartikel schauen wir uns genauer an, was eigentlich während eines Vortrags im Arbeitsgedächtnis deiner Teilnehmenden passiert und wie du dieses Wissen für die Gestaltung von lernförderlichen Präsentationsfolien nutzen kannst. Am Ende bekommst du zudem 12 sofort umsetzbare Tipps von mir.
Das Gedächtnis als Mehrkomponentenmodell
Über unsere Sinneskanäle prasseln ununterbrochen Unmengen an Informationen auf uns ein. Die wenigsten Dinge erlangen unsere Aufmerksamkeit und werden weiterverarbeitet. Das ist auch gut so, sonst hätte „Informationsflut“ eine ganz andere Dimension.
In einer Trainingssituation möchten wir natürlich erreichen, dass die Informationen verstanden und später auch erinnert werden können. Doch dafür müssen die Infos erst einmal in das sogenannte Langzeitgedächtnis gelangen und auf dem Weg gibt es zwei große Hindernisse:
- Hindernis 1: Die Aufmerksamkeit
- Hindernis 2: Die begrenzte Kapazität des Arbeitsgedächtnisses
Du kannst dir unser Gedächtnis als Mehrkomponentenmodell vorstellen:
Über den sogenannten sensorischen Speicher nehmen wir Informationen aus der Umwelt für einen kurzen Augenblick auf. Im Falle einer Präsentation im Live-Online-Training passiert das über die Ohren und Augen.
Nur die Infos, die genügend Aufmerksamkeit bekommen, werden im Arbeitsgedächtnis verarbeitet und können so im besten Fall ins Langzeitgedächtnis überführt werden. Damit letzteres gelingt, muss Vorwissen aus dem Langzeitgedächtnis aktiviert werden, sodass die sogenannten Schemata aus dem Langzeitgedächtnis mit den neuen Informationen verknüpft werden können.
Begrenzte Kapazität des Arbeitsgedächtnisses
Das Arbeitsgedächtnis hat jedoch eine Schwachstelle, denn es hat eine stark begrenzte Kapazität. Wir können nur wenige Informationen gleichzeitig verarbeiten und diese bleiben auch nur bis zu 30 Sekunden verfügbar.
Durch Wiederholungsstrategien können wir Infos auch länger behalten, indem wir sie zum Beispiel ständig laut wiederholen. Das kennst du vielleicht vom Vokabeln oder Nummern auswendig lernen. In dem Moment kannst du jedoch keine neuen Infos im Arbeitsgedächtnis aufnehmen.
Für deinen Vortrag und deine Folien kannst du dir auf jeden Fall schon einmal merken, dass du nur wenige Informationen gleichzeitig präsentieren solltest.
Hintergrundwissen zur Informationsverarbeitung
Bevor wir zu den Tipps für Präsentationsfolien im Live-Online-Training kommen, möchte ich dir noch etwas mehr Hintergrundwissen mitgeben. Lass uns dafür etwas genauer auf die Prozesse im Arbeitsgedächtnis schauen und die wichtigsten Punkte verschiedener theoretischer Überlegungen betrachten.
An dieser Stelle möchte ich dir zudem das Buch „Mediendidaktik: Konzeption und Entwicklung digitaler Lernangebote“ von Michael Kerres empfehlen. In den folgenden Abschnitten fasse ich dir daraus die wichtigsten Aspekte bezüglich der Gestaltung von Präsentationsfolien zusammen.
Doppelte Codierung von Informationen
Die Theorie der doppelten Codierung (Allan Paivio) besagt, dass die Verarbeitung von verbalen und nicht-verbalen Informationen in zwei unterschiedlichen Systemen geschieht.
- Im verbalen System werden sprachliche Informationen, also das, was wir hören und lesen, verarbeitet. Das geschieht sequentiell, denn wir folgen dem Text Zeichen für Zeichen.
- Im nicht-verbalen System werden bildhafte Informationen ganzheitlich und zeitgleich verarbeitet. Ein Bild sehen wir als ganzes und erfassen es sofort.
Die Theorie besagt, dass Informationen, die in beiden Systemen verarbeitet werden (doppelte Codierung), besser erinnert werden können.
Wenn wir zum Beispiel ein Bild von einem Haus mit Baum sehen, dann wird die Information doppelt codiert. Zum einen die bildhafte Repräsentation mit Details, zum anderen die verbal codierte, abstrakte Information „Das Bild zeigt ein Haus mit einem Baum“.
Als ich diese Theorie der doppelten Codierung im Studium kennengelernt habe, hatte das Sprichwort „ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ plötzlich eine neue Bedeutung für mich.
Verarbeitung von Text, Bild und Ton am Computer
Auf dieser Basis wurden weitere Überlegungen zur Verarbeitung von geschriebenem Text, gesprochenem Text und Bildern am Bildschirm angestellt (Richard E. Mayer).
Geschriebener Text
Geschriebene Texte werden bildhaft präsentiert und über das Auge wahrgenommen. Wenn genügend Aufmerksamkeit darauf gerichtet wird, dann wird aus den bildhaften Informationen ein verbales Modell erzeugt.
Gesprochener Text
Gesprochen Text nehmen wir über die Ohren auf. Bei genügend Aufmerksamkeit wird dieser im akustischen Arbeitsgedächtnis verarbeitet. Anschließend wird wie beim geschriebenen Text ein verbales Modell erzeugt.
Geschriebener und gesprochener Text
Du hast bestimmt schon einmal erlebt, dass ein Redner den Text auf den Präsentationsfolien vorgelesen hat. Das ist eine ganz schlechte Idee, denn in diesem Fall werden die gleichen Informationen über Ohren und Augen wahrgenommen. Aus beiden Kanälen wird jeweils ein verbales Modell erzeugt, welche vom Teilnehmenden in ein Modell zusammengefügt werden müssen. Dies ist eine völlig unnötige Belastung des Arbeitsgedächtnisses.
Hinzu kommt, dass wir geschriebene Texte schneller erfassen als das, was uns vorgelesen wird. Somit wird das Zusammenbringen der beiden verbalen Modelle noch anspruchsvoller.
Geschriebenen Text auf Folien vorzulesen ist ein absolutes No-Go!
Bilder
Bilder werden über das Auge aufgenommen. Bei genügend Aufmerksamkeit wird aus den Informationen ein bildhaftes Modell erzeugt.
Bildliche Darstellung mit Erklärungen
Bildliche Darstellungen wie Grafiken oder Abbildungen sind meistens nicht selbsterklärend. Sobald erklärender Text hinzukommt, wird neben dem bildhaften Modell auch ein verbales Modell erzeugt und der Teilnehmende muss beide zusammenbringen. Wie hoch die Anforderung ist, hängt von der Art der Präsentation ab.
Präsentiere den erklärenden Text räumlich nahe an der Abbildung. Auf diese Weise berücksichtigst du das sogenannte Gesetz der Nähe und kannst die Beanspruchung des Arbeitsgedächtnisses reduzieren.
Wir haben bereits erste Hinweise, welche Auswirkungen Bilder bzw. geschriebener und gesprochener Text auf die Auslastung des stark begrenzten Arbeitsgedächtnisses haben. Lass uns jetzt noch ein wenig in die Theorie der kognitiven Beanspruchung eintauchen, um die Informationsverarbeitung im Arbeitsgedächtnis und die lernförderlichen Ableitungen besser zu verstehen.
Theorie der kognitiven Beanspruchung
Mit kognitiver Beanspruchung sind mentale Aktivitäten gemeint, die zeitgleich auf das Arbeitsgedächtnis einwirken (Cognitive Load Theory, John Sweller). Als Trainer können wir auf einige Bereiche der mentalen Beanspruchung Einfluss nehmen, indem wir den Inhalt und das Material gehirngerecht aufbereiten.
Ein Inhalt, bei dem vier Elemente gleichzeitig aktiv gehalten werden, empfinden wir als leicht. Bei zehn oder mehr finden wir den Stoff schwierig. Was genau ein Element ist, unterscheidet sich von Person zu Person. Für einen Anfänger im Thema ist vermutlich alles neu und dadurch muss er sehr viele Elemente gleichzeitig im Arbeitsgedächtnis behalten. Ein Experte hingegen kann die Infos in größere Einheiten bündeln und belastet somit das Arbeitsgedächtnis weitaus weniger.
Kognitive Beanspruchung auf Präsentationsfolien reduzieren
Generell solltest du auf deinen Präsentationsfolien lernirrelevante Aspekte weglassen. Bei Teilnehmenden mit wenig Vorkenntnissen ist das besonders wichtig, da sie Wichtiges von Unwichtigem schwer unterscheiden können. Nutze zum Beispiel Grafiken anstatt Fotos, um Informationen zu reduzieren. Auch wenn farbige und detailreiche Zeichnungen schön anzuschauen sind, profitieren gerade Anfänger von einfarbigen Darstellungen wie z.B. Piktogrammen.
Das Gesetz der Nähe hast du weiter oben schon kennengelernt. Beachte dieses Gesetz generell bei der Gestaltung deiner Präsentationsfolien. Wir nehmen Elemente, die nah beieinander sind, als Einheit wahr und genau das ermöglicht dir, die Folie zu strukturieren.
Wenn deine Teilnehmenden noch wenig Vorwissen haben oder du sehr komplexe Grafiken einsetzt, baue deine Folien Klick für Klick als Animation auf. Bei sehr viel Vorwissen kann dieses Vorgehen allerdings zu einer zu geringen Auslastung des Arbeitsgedächtnisses führen, wodurch der Effekt umgekehrt wird.
12 Tipps für die Gestaltung deiner Präsentationsfolien
Die nachfolgenden Tipps sind Ableitungen aus der Lernpsychologie und beziehen sich auf eine optimierte Gestaltung von Präsentationsfolien, um das Arbeitsgedächtnis nicht unnötig zu belasten.
Aus motivationspsychologischer Sicht können die gestalterischen Tipps für Präsentationsfolien ganz anders aussehen. Ich mach dir ein Beispiel: Reduzierte Grafiken wie Piktogramme sind großartig, um das Arbeitsgedächtnis zu entlasten. Sie sind deutlich besser geeignet als realistische und detailreiche Fotos. Piktogramme können jedoch für gewöhnlich keine Emotionen hervorrufen. Bei dieser Zielsetzung sind Fotos und Videos die bevorzugte Wahl.
Mach dir also vor der Gestaltung der Folien dein Ziel bewusst. Die ideale Aufbereitung für das Arbeitsgedächtnis variiert je nach Vorwissen deiner Zielgruppe. Du solltest also, wie in allen Lernsettings, im Vorfeld so viel wie möglich über deine Teilnehmenden herausfinden.
Diese Tipps kannst du natürlich auch anwenden, wenn du eine Präsentation als Screencast aufnimmst, um zum Beispiel die Wissensvermittlung beim Flipped Classroom auszulagern. Selbstverständlich profitieren auch Präsentationsfolien im Seminarraum von diesen Prinzipien.
Lernförderliche Verarbeitung von Text und Bild
- Präsentiere Informationen als Text und Bild, wenn deine Teilnehmenden wenig Vorwissen haben.
- Präsentiere das Bild vor dem Text. Das Bild kann schneller erfasst werden und dient somit als Organisationshilfe und Anker für den nachfolgenden Textinhalt.
- Verzichte auf irrelevante Informationen wie z.B. Schmuckbilder, insbesondere bei Anfängern im Thema.
- Reduziere bildliche Informationen, insbesondere bei wenig Vorwissen: Nutze Piktogramme und einfache Zeichnungen anstatt Fotos.
Ich nutze sehr gerne die Piktogramme in PowerPoint. Die findest du oben im Menüband unter „Einfügen“ > „Piktogramme“.
- Animiere komplexe Grafiken, insbesondere für Anfänger im Thema. Baue die einzelnen Elemente auf der Folie nach und nach mit dem gesprochenen Wort auf. Bei Animationen ist weniger übrigens mehr. Lass die Elemente einfach nur erscheinen und verzichte auf „Spezialeffekte“.
- Füge schriftliche Erläuterungen nahe an der Grafik ein, wenn es sich um eine einfache Abbildung handelt (Gesetz der Nähe).
- Nutze bei komplexen Abbildungen keine schriftlichen Erläuterungen, sondern das gesprochene Wort.
- Lies auf keinen Fall den Text auf der Folie vor!
Allgemeine Foliengestaltung
- Gestalte luftige Folien und nutze die Leerräume bewusst. Sie sorgen für Ruhe und Konzentration auf das Wesentliche.
- Nutze die Folien vor allem für grafische Inhalte (Skizzen, Grafiken, Diagramme, etc.), die deinen Vortrag unterstützen.
- Verwende eine gut lesbare Schrift und achte auch auf einen guten Kontrast zum Hintergrund. Du liest übrigens gerade eine serifenlose Schrift in dunklem Grau auf weißem Hintergrund. Das können wir am Bildschirm gut lesen.
- Stelle gleiches gleich dar. Nutze die gleichen Piktogramme, Linienstärken, etc. wenn du den gleichen Sachverhalt visualisieren möchtest. Ich habe zum Beispiele weiter oben in den Abbildungen zur Informationsverarbeitung von Text, Bild und Ton immer das gleiche Piktogramm eines Ohrs, die gleichen Pfeile, die gleichen Farben, etc. verwendet.
Fazit
Lernförderliche Präsentationsfolien schaffen es nicht nur die Aufmerksamkeit deiner Teilnehmenden zu gewinnen, sondern sie sorgen vor allem auch dafür, dass das Arbeitsgedächtnis nicht überlastet wird.
Durch die Erkenntnisse der Lernpsychologie kannst du Gestaltungsprinzipien für gute Folien im Live-Online-Training ableiten. Damit du die passenden Design-Entscheidungen für eine bestimmte Zielgruppe treffen kannst, ist es unerlässlich, dass du zudem ihr Vorwissen im Thema kennst.
Sehr hilfreiche Informationen! Danke fürs Teilen.
Danke für die vielen wertvollen Ideen in diesem Artikel!
Super! Danke für den tollen Beitrag, das sind viele gute Tipps die über den „Standard“ hinausgehen.
Sehr gerne! Schön, dass du ein paar Tipps mitnehmen konntest! 🙂
Bin seit 20 Jahren Referentin und das im pädagogischen Bereich ? Wenn mir deine Inhalte jemand früher so hirngerecht und anschaulich gelehrt hätte…. Großartig Sandra, vielen Dank für den äußerst praktikablen Input!
Oh, wie lieb von dir, Bettina! Ich freue mich sehr über dein Feedback und dass dir der Blogartikel weiterhilft! 🙂
Liebe Grüße
Sandra